Parti-WAS?! Gelebte Partizipation in Zürich
Das Schlagwort Partizipation ist in aller Munde. Aber verstehen wir alle dasselbe darunter? Und wie geht sie überhaupt, diese Partizipation? Am 7. Oktober 2019 haben wir in Zürich zu unserer ersten Pitch Night zum Thema Partizipation geladen. Dabei wurde deutlich, wie breit die Palette an Sichtweisen, Ansprüchen und Herangehensweisen ist und wie vielfältig partizipiert wird.
Was bedeutet Partizipation eigentlich für uns Stadtbewohner*innen, für uns Stadtentwickler*innen, für uns Aktivist*innen? Wie und wo partizipieren wir? Und wie laden wir andere zum Partizipieren ein? Um diese Fragen drehten sich die acht inspirierenden Kurzreferate, die im vollen Saal vom “Karl der Grosse” Einblicke in Projekte aus den Bereichen Medien, Verwaltung, Bildung, Design, Soziokultur und Aktivismus gewährten.
Partizipation = Information und Kommunikation?
Max Stern vertritt das Smart City Team der Stadtentwicklung Zürich. Dieses “Smart” – erklärt er – ist nicht nur technologisch zu verstehen, sondern bedeutet die Vernetzung von Infrastruktur und Daten, genauso wie auch jene von Organisationen und Menschen. Eine der brennende Fragen dabei: Wie können wir die Stadtbevölkerung und die Verwaltung zusammenbringen?
Eine Grundvoraussetzung für Partizipation ist Information, betont Max. Denn wer nicht informiert ist, kann nicht partizipieren. Für die Stadtentwicklung stehen Information und Transparenz deshalb im Vordergrund, beispielsweise im Sinne von Open Data. Ausserdem ist ihr Ziel nicht einfach mehr, sondern breitere Partizipation. Denn knapp die Hälfte der 30-40-jährigen in der Stadt Zürich kann momentan nicht abstimmen, weil sie keinen Schweizer Pass haben. Der städtische Strategieschwerpunkt “Smarte Partizipation” ist entsprechend weitreichend und ambitioniert.
Das sehen Lena Wolfart und Michael Metzger vom Verein Nextzürich ähnlich: Kommunikation steht für sie im Vordergrund. Nextzürich hat das Ziel, Themen der Stadtentwicklung wie Mobilität, Verdichtung oder Smart City zugänglich, verständlich und für möglichst viele Menschen interessant zu machen. Auf Freiwilligenbasis und ohne offiziellen Auftrag lädt der Verein die Bevölkerung zum Mitdenken und Mitgestalten ein. Dazu betreibt Nextzürich einerseits eine Online-Ideenplattform, organisiert andererseits unterschiedlichste Veranstaltungen wie Spaziergänge, Film-Screenings oder Workshops. Zwei zentrale Erkenntnisse aus ihren Aktivitäten:
1. Um überhaupt adäquat informieren und Wissen teilen zu können, muss das Wissenswerte aus der Fachsprache in eine verständliche Sprache übersetzt werden – und manchmal auch umgekehrt.
2. Wer unterschiedliche Menschen und Gruppen erreichen will, muss dies über unterschiedliche Kanäle, Methoden und Formate tun. Es muss stets Informations- und Partizipationsangebote zu unterschiedlichen Aktivitätsleveln geben, damit für jede*n was dabei ist.
Auch Bence Komlosi vom Verein Architecture for Refugees Schweiz betont, wie wichtig die Diversität an Zugängen, Formaten und Intensitätsgraden ist. Das Ziel des Vereins ist eine für alle zugängliche und bezahlbare Stadt. Für die Förderung von interkulturellem Austausch organisieren sie unter anderem Partys, gemeinsame Essen, Festivals oder Bauprojekte. Bence wünscht sich, dass so alle in ein gemeinsames Machen kommen. Doch bis es soweit ist, braucht es seiner Meinung nach niederschwellige Angebote für diejenigen, die vorerst mal lieber nur zuhören möchten.



Partizipation = Crowdsourcing ?
Eine naheliegende Form von Partizipation ist das Crowdsourcing: das simple Abholen und Sammeln von Meinungen, Ideen oder sonstigen Beiträgen bei der “Crowd” oder Bevölkerung. Die bekanntesten demokratischen Prozesse basieren auf diesem Prinzip: Abstimmen, Wählen, Unterschriften sammeln. Und so betreibt auch die Stadtentwicklung Crowdsourcing, erzählt Max: Beispielsweise wurden im Sommer auf öffentlichen Plätzen Kompost-Toiletten aufgestellt. Wer diese benutzte, wurde gebeten, per QR-Code Feedback dazu zu geben.
Nextzürich führt hingegen aus, wie sie sich seit ihrer Gründung 2013 darauf spezialisiert haben, die Stadtbevölkerung nach ihren Ideen für die Entwicklung von Zürich zu fragen, diese Ideen online zu sammeln und sie – nach dem Kaffeeröstprinzip – weiter zu verarbeiten und in handfeste, ernstzunehmenden Konzepte zu giessen, die dann der Stadtverwaltung vorgelegt werden können.
Auch das stark Community-getragene Stadtmagazin Tsüri.ch nutzt die Crowdsourcing-Methode. Wie Elio Donauer erzählt, konnten Member früher sogar den Lohn der Redakteure mitbestimmen, heute kriegen sie jeden Freitag verschiedene Artikel-Themen zur Auswahl und können für deren Umsetzung voten. Und wenn Tsüri filmische Eindrücke aus dem Wohnalltag der Zürcher*innen einfangen will, wird kurzerhand die “Crowd” nach Video-Clips aus ihren eigenen Wohnungen gefragt. Das Resultat ist eine Collage aus individuellen Einblicken in «Kühlschränke und Badezimmern mit Kühlschränken drin».
Partizipation = Interaktion und Erlebnis ?
Das Lokalmedium experimentiert mit unterschiedlichen Möglichkeiten, die Leserschaft miteinzubeziehen. Denn Tsüri.ch will nicht nur senden, sondern auch empfangen, diskutieren und Erlebnisse generieren. Frei nach dem Motto «Wir brauchen keine Zeitungen, wir brauchen Journalismus» (Clay Shirky) versuchen sie, den Lokaljournalismus neu zu erfinden. Als ihre Antwort stellt Elio "Civic Media" vor, sprich Community- und Erlebnisjournalismus, der 3-4 mal jährlich thematische Fokus-Monate zu Themen wie Smart City, Wohnen oder Arbeit realisiert. Diese Themen werden dann nicht nur redaktionell aufbereitet, sondern durch dafür entwickelte Veranstaltungsformate wie Spiele, Spaziergänge oder Workshops erfahrbar gemacht. Wer dabei ist, fühlt sich wie ein Teil der Recherche und der Geschichte oder auch «ein bisschen wie ein eingebetteter Reporter».
Ähnliches erzählen Naomi Eggli und Nora Gailer vom Designathon. Als Verein organisieren sie ungefähr jährlich den Event Designathon – ein 48h-Design-Marathon, bei dem interdisziplinäre Teams Ideen und Lösungen für ein gesellschaftlich relevantes Thema entwickeln. Nun will der Verein aber nicht nur diesen Hauptevent veranstalten, sondern das Thema vorab partizipativ mit der Community erkunden. In verschiedenen öffentlichen Aktivitäten, Challenges oder Explorationen wird aktuell gemeinsam das Thema Macht erörtert. Am Designathon im März 2020 werden dann die Erkenntnisse aus dieser gemeinsamen Recherche verdichtet.



Partizipation = Kollaboration ?
Neben dem Einsatz interaktiver Veranstaltungsformate war ein weiterer gemeinsamer Nenner in der partizipativen Arbeitsweise auszumachen: Denn die Projekte sind intern genauso partizipativ organisiert, wie sie es nach aussen tragen. Sie sind Überzeugungstäter und Testlabor zugleich.
So betrachtet Bence von Architecture for Refugees Partizipation als Zwischenschritt zwischen sehr hierarchischen Zuständen und dem eigentlichen Ziel: einem kollaborativen Zustand, bei dem alle proaktiv und mitverantwortlich zusammenarbeiten. Alle, die zum Gelingen einer Aktion beitragen, sind demnach gleich wichtig und Teil eines grossen Ganzen: von der Managerin über die Speaker und Zuhörer bis hin zur Türsteherin. Denn «everyone is good at something!» und wenn sich alle gegenseitig unterstützen, entsteht ein Netzwerk aus Macher*innen.
Es ist dieses gemeinsame Handeln im Netzwerk, das sich dann über das konkrete Projekt oder Anliegen ausbreiten kann. Es geht deshalb bei allen Pitches auch immer wieder darum, Verbündete zu suchen und sich auf Kooperationen mit anderen Vereinen, Institutionen oder gar Behörden einzulassen. «Habt keine Angst vor Verwaltungen. Es gibt offene Ohren in der Verwaltung und diese sollte man nutzen», sagt Lena von Nextzürich.
Partizipation = Selbermachen ?
Eine ähnliche Haltung vertritt auch Urban Sand von Openki. Openki ist eine peer-to-peer Bildungsplattform, die wissbegierige Menschen vernetzt und es ihnen ermöglicht, sich selber zu organisieren. Die Grundannahme: «Wir alle können gewisse Dinge mega gut, und wir alle möchten Sachen lernen.» So kann jede*r auf der Openki-Plattform einen spezifischen Kurs vorschlagen. Um diesen Vorschlag versammeln sich dann Interessierte in unterschiedlichen Rollen: Wer kann das gut und will Mentor*in sein? Wer hat einen Raum und kann Host sein? Daraus resultieren schliesslich eine Handvoll Kurse pro Woche, von Theater über Buchhaltung bis hin zur gewaltfreien Kommunikation.
Dieses Selbermachen taucht im Laufe des Abends immer wieder auf. So auch bei Tom Schöps vom Kollektiv Raumstation, welches in Weimar, Berlin und Wien aktiv ist. Gegründet wurde die Raumstation von Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar, die Lust hatten, sich auf eine nicht-akademische Art mit dem Gegenstand Stadt und öffentlicher Raum zu beschäftigen. Ihr Motto: «Wir wollen nicht darauf warten, dass sich die Stadt von allein verändert, sondern wir wollen es selbst machen. Und wir wollen auch andere Stadtbewohner*innen dazu animieren.» Das machen sie, indem sie zum Beispiel eine brachliegende Fläche neu aktivieren und die Bevölkerung dazu einladen, diese zu beleben. Oder indem sie sogenannte Wohnstrassen möblieren und Passant*innen dazu animieren, dort mit ihnen zu wohnen, Kaffee zu trinken, Schach zu spielen oder Mittagsschlaf zu halten. Denn für die Raumstation heisst gemeinsames Stadtgestalten auch, sich Räume anzueignen und diese dann wiederum mit anderen zu teilen.
Es ist genau dieses Selbermachen, das auch wir als Urban Equipe anregen und unterstützen wollen. Und zwar, indem wir einerseits Workshops, Plattformen oder anderen Gelegenheiten zum Mitwirken schaffen. Aber vor allem, indem wir Urban Equipment entwickeln: Ein Stadtmach-Werkzeugkoffer, der das Aktivwerden, Einmischen und Organisieren vereinfacht. Mit Anleitungen für Veranstaltungsformate, Vorlagen für Spiele, Werkzeugen für Ideation und Kooperation oder auch mal einem Open Source Code. Das Equipment steht engagierten Städter*innen frei zur Verfügung, so dass sie es nach individuellen Bedürfnissen adaptieren und weiterentwickeln können und dadurch weniger ihrer wertvollen Zeit an ausbremsende Fragen und Hürden verlieren.



Unser Fazit des Abends
Jede Art von Partizipation erfordert viel Geduld, Zeit, Kreativität und ist harte Arbeit. Sei es der Akt, seine eigene Stimme zu erheben und sich einzumischen, sei es die Bemühung, andere Leute zum Mitmachen zu bewegen oder seien es projektinterne Abläufe und kollektive Entscheidungsprozesse. Dass Partizipation dennoch unglaublich viel Spass machen kann, konnten die Vortragenden der Pitch Night eindrücklich und regelrecht ansteckend vermitteln.
Jede Art von Partizipation braucht Mut. Sei es die Entscheidung, sich als Städter*in einzumischen oder sei es die Bereitschaft, als Entscheidungsträger*in einen Teil der Macht und Kontrolle abzugeben und andere daran teilhaben zu lassen. Denn Partizipation stört oft, unterbricht Prozesse, bremst sie aus, lenkt sie um und ist unvorhersehbar. Darauf muss man sich bewusst einlassen. Und das will geübt sein. Wir alle konnten an der Pitch Night kurz miterleben, was es bedeutet, die Kontrolle abzugeben, als Urban von Openki dazu aufforderte, herauszufinden, was jede*r einzelne im Raum von seinem*r Sitznachbar*in lernen könnte. Da wurde es für eine Minute mehr als laut im Saal; als würde sich die ganze Energie entladen, die sich zuvor über eine Stunde im stillen Publikum aufgebaut hatte.
Der Abend klang noch lange aus... und nach. Wer sich während der Vorträge Kommentare oder Fragen notiert hatte, steckte diese an die runden Meinungsfänger, die im Saal von der Decke hingen: pro Pitch ein Meinungsfänger, farblich unterscheidbar. Diese Inputs konnten so während dem Apéro mit den Vortragenden oder anderen Interessierten diskutiert werden. Ausserdem haben wir sie mit nach Hause genommen, aufmerksam gelesen und werden sie in die Planung weiterer Parti-WAS?! Veranstaltungen sowie in künftiges Equipment einfliessen lassen. An dieser Stelle: Danke für die vielen Inputs!
Falls ihr...
...nicht dabei wart oder den Abend einfach nochmals in voller Länge nachschauen wollt:
...direkt zu einzelnen Pitches gelangen wollt:
[2:57] Lena Wolfart & Michi Metzger, Nextzürich
[13:04] Elio Donauer, Tsüri.ch
[21:39] Bence Komlosi, Architecture for Refugees SCHWEIZ
[31:23] Maximilian Stern, Smart City / Stadtentwicklung Zürich
[40:16] Naomi Eggli & Nora Gailer, Designathon
[49:24] Tom Schöps, Kollektiv Raumstation
[58:36] Urban Sand, Openki
[1:07:47] Sabeth Tödtli, Urban Equipe
...selber eine Pitch Night organisieren wollt:
Dann findet in unserem Urban Equipment ein einfach anwendbares How-to Pitch Night, das euch Schritt für Schritt zur eigenen Pitch Night führt.
Fotos: Michael Meili