"Quartieridee Wipkingen" – Arbeitsbericht

Oder: Wie organisierten wir ein partizipatives Quartierbudget?

In Zürich-Wipkingen testeten wir eine Art partizipatives Budget auf Quartiersebene. Alle konnten Ideen eingeben, die sie selber umsetzen möchten. Das vorhandene Budget wurde per Abstimmung verteilt, an der ebenfalls alle mitmachen konnten. Wollt ihr etwas Ähnliches organisieren – oder interessieren euch einfach so die ‘Details aus dem Maschinenraum’? In diesem detaillierten Arbeitsbericht beschreiben wir, wie wir vorgegangen sind und was unsere Erfahrungen sind.


Die Idee

Stell dir vor, ihr habt eine Idee für euer Quartier, die ihr gerne umsetzen würdet: eine Velo-Waschanlage, einen Treffpunkt für alleinstehende Eltern, ein Winterbad für Mutige, eine Verbesserung der Bordsteinkante für Velofahrende, eine Zeltnacht im Quartierpark für alle Kinder deiner Nachbar*innenschaft, … So schlummern viele Vorhaben, die aber oft doch nicht Realität werden. Vielleicht weil sie zu klein und zu lokalspezifisch scheinen, um auf gesamtstädtischer Ebene Gehör zu finden? Oder weil sich die Ideengeber*innen das selber nicht zutrauen? Oder weil etwas Geld und Projektunterstützung fehlt? Oder weil es zu kompliziert ist, sich mit den Regularien der Stadt herumzuschlagen?

Aber nun stellt euch vor, euer Quartier erhält ein Budget, über das ihr selber bestimmen und ausgeben könnt – nicht die Stadtverwaltung, nicht institutionalisierte Fördergefässe, sondern alle Quartierbewohner*innen, die mitmachen möchten. (Und ja, auch die ohne offizielles Stimmrecht hier.) Auf einer Online-Plattform können Ideen eingegeben werden, die dann zur Abstimmung gelangen und das Budget den Ergebnissen entsprechend verteilt wird. Die Stadt ist soweit involviert, dass sie direkte Ansprechspersonen zur Verfügung stellt. Auf dieser Plattform finden natürlich auch soziale Vernetzungen und Austausch über eure Projekte statt – fast wie nebenbei lernt ihr dadurch auch eure Nachbar*innen kennen.

Zu schön, um wahr zu sein? Nein! Erste Versuche sind bereits Realität. Zum Beispiel mit der ‘Quartieridee Wipkingen’, die wir 2020/2021 umgesetzt haben. Wir? Das sind der Verein Urban Equipe zusammen mit dem Verein Nextzürich. Für dieses Projekt haben wir mit dem QV Wipkingen kooperiert und wurden von der Stadtentwicklung Zürich begleitet und unterstützt.

Selbstinitiiertes Pilotprojekt - Wie alles angefangen hat

Der Verein Nextzürich träumte schon von einem solchen Projekt seit sie 2016 zum ersten Mal von betri Reykjavik gehört haben – einem partizipativen Budgetprozess in Island. Nextzürich hatte nämlich selbst 2013 eine Online-Ideenplattform für Zürich lanciert, auf der jede und jeder Ideen und Visionen für die Zukunft der Stadt posten konnte und über die Ideen der anderen abstimmen oder diese durch Kommentare weiterentwickeln. Diese Plattform war sehr beliebt, zeigte aber wenig Wirkung, da Nextzürich keine Umsetzung der Ideen versprechen konnte – dafür fehlte das Budget und die politische Legitimierung.

Das änderte sich jedoch 2018: Nachdem zwei Vorstösse im Zürcher Gemeinderat einen Schritt in Richtung Quartierpartizipation und Civic Tech forderten; nachdem die sogenannte “Quartierkoordination” verkleinert und neu erfunden wurde, während die städtisch subventionierten Quartiervereine in ihrer Rolle als Schnittstelle zwischen Stadt und Bevölkerung überprüft und dadurch herausgefordert wurden, sich zu modernisieren; und nachdem die Stadt sich “Smarte Partizipation erproben” als Schwerpunkt in ihrer neuen Smart City Strategie vornahm. Inspiriert von diesen Entwicklungen und ermutigt durch den engagierten Quartierverein Wipkingen haben wir – Nextzürich und Urban Equipe – für die Idee eines partizipativen Budgets auf Quartiersebene ein ausführliches Konzept veröffentlicht. Dies wurde zur Basis dafür, das Pilotprojekt “Quartieridee Wipkingen” aufzugleisen.

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Foto vom Start-Event der Ideensammlung

Eckdaten Quartieridee Wipkingen

  • Zur Verfügung stehendes Quartier-Budget: 40’000 CHF
  • Rahmenprogramm: 18 Offline-Events (Ideenphase), diverse Online-Austauschtermine (Machbarkeitsphase), 3 Online-Events (Abstimmungsphase)
  • 1 Online-Plattform (www.quartieridee.ch – nicht mehr aktiv) basierend auf der Open Source Plattform Decidim
  • 99 Ideen wurden eingegeben
  • 27 Ideen gelangten in die Abstimmung
  • 8 Ideen bekamen Budget zugeteilt
  • 211 Kommentare auf der Plattform
  • 4400 Besuche auf der Website in der Ideenphase (davon 73% direkt, 13% Social Media, 7% von Suchmaschinen, 6% von Web-Verweisen, 1% übriges)
  • 8752 Besuche auf der Website in der Abstimmungsphase (davon 71% direkt, 15% Social Media, 7% von Suchmaschinen, 5% von Web-Verweisen, 2% übriges)
  • 1486 registrierte User*innen
  • 967 Teilnehmer*innen an der Abstimmung
  • 300 Programm-Flyer, 10'000 Postkarten, 50 Plakate, 34 Medienberichte

Welche Quartierideen wurden umgesetzt?

Folgende Ideen erhielten nach der offenen Abstimmung ein Budget:

  • Ein Backhaus für Wipkingen für 3’862 CHF
  • Ein Baumtisch für die Rundbänken auf dem Röschbachplatz für 2’810 CHF
  • Das Vermittlungsprogramm "Biodiversität – Was kann ich selber tun?" der Genossenschaft Zeitgut für 2’500 CHF
  • Essbares Wipkingen für 9’000 CHF
  • Mobile Skateboard-Elemente für Wipkingen für 4’000 CHF
  • Quartierpavillons und fliegende Bar für 9’800 CHF
  • Ein unkommerzielles Streetfood Festival Wipkingen für 5’000 CHF
  • Ein Wipkinger Wildnisweg für 1’500 CHF

Seither werden diese 8 Projekte im Quartier umgesetzt und zwar so, dass sie für alle im Quartier zugänglich sind. So wurden zum Beispiel unter dem Motto “Essbares Wipkingen” im Waidspitalpark Beeren und Obstbäume und Obstbäume gepflanzt. Die Jugendlichen der OJA haben mobile Skateboard-Elemente gebaut. Auf dem Röschibachplatz gibt es jetzt Baumtische, die bereits rege genutzt werden. Und der Verein CALA plant Quartierpavillons und eine fliegende Bar.

Es wurden sogar einige Projekte umgesetzt, die nicht gewonnen haben. Entweder, weil sich die Menschen, die dahinter stecken, den Mut nicht nehmen liessen und im Prozess Kompliz*innen oder Unterstützung gefunden haben. Oder weil sich die Stadt von einer Idee inspirieren liess und sie einfach in die Tat umsetzte, wie z.B. die neuen Trampoline auf der Landenbergwiese. Das freut uns natürlich sehr.

Wir gratulieren den Gewinner*innen ganz herzlich und freuen uns über das Engagement von allen, die in irgendeiner Form an diesem Pilotprojekt mitgestaltet haben. <3

Die Prozess-Plattform ist mittlerweile wieder deaktiviert, doch wir werden weiterhin via Facebook und Instagram über den Fortschritt Projekte berichten.

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Jugendliche der OJA bauen mobile Skateboard-Elemente
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Die Baumtische werden installiert

Wie verlief der Prozess?

Im Ablauf der ‘Quartieridee Wipkingen’ wechselten wir zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Phasen:

  • Vorbereitungsphase: Bevor die Plattform aufgeschaltet wurde, haben wir möglichst viele bereits organisierte Vereine, Projekte, Institutionen etc. im Quartier kontaktiert. Wir fragten sie einerseits, ob sie selber eine Idee eingeben wollen, und vor allem auch, ob sie als Multiplikator*innen die Quartieridee bekannt machen möchten. Es fanden mehrere bilaterale Treffen/Telefonate sowie ein grösserer Austausch aller Interessierten statt.
  • Ideenphase (öffentlich): 37 Tage lang im September/Oktober 2020. In diesem Zeitfenster konnten online Ideen eingereicht werden. Die Eingabe war bewusst niederschwellig gehalten, man musste nur einen Titel und ein Textfeld eingeben. Erste Nachfragen/Feedbacks/Beratungen fanden bereits zu diesem Zeitpunkt statt. Total: Es wurden 99 Ideen eingegeben.
Beispiele
Ein paar Beispiele der insgesamt 99 eingegebenen Ideen
  • Machbarkeitsprüfung: Nach dem Ende des Eingabefensters trafen wir (Urban Equipe) uns mit der Stadtentwicklung, um alle Ideen durchzugehen und auf ihre Machbarkeit hin zu prüfen. Sie mussten ein Budget von maximal 40’000 CHF aufweisen, gemeinnützig sein, eine Erlaubnis/Bewilligungsmöglichkeit für den Durchführungsort glaubhaft machen, selbst umsetzbar sein und mindestens eine Person musste sich dafür zuständig zeigen. Manche Ideen wurde laut diesen Bedingungen sofort als machbar eingestuft und es wurde eine Ansprechsperson in der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt. Andere Ideengebende bekamen ein Feedback, was sie für die Abstimmung noch konkretisieren müssen (z.B. ein kleines Budget eingeben, die gemeinnützige Ausrichtung schärfen, manchmal auch nicht allzu viel auf einmal vornehmen). Es wurden nur wenige Ideen ganz ausgeschlossen, etwa wenn sie klar nicht von den Quartierbewohnenden selber umgesetzt werden können (z.B. Fussgänger*innenstreifen auf der Rosengartenbrücke). Alle Antworten wurden öffentlich auf der Plattform publiziert.
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Workshop mit der Stadtentwicklung Zürich zur Machbarkeitsprüfung
  • Konkretisierung: Weil die erste Ideeneingabe so niederschwellig war, mussten einige der Ideen noch ausgearbeitet werden. Dafür waren einzelne Coachings sehr wertvoll. Insbesondere kamen dabei Fragen dazu auf, wie ein unkompliziertes Budget zusammengestellt werden könne, wie ein Projekt sich nicht übernimmt, und organisatorische Anliegen wie Bewilligungen, Druckkosten und externe Kommunikation des Projektes.
  • Abstimmungsphase (öffentlich): Während 3 Wochen im Januar/Februar 2021. Total 27 Projekte standen zur Abstimmung. In diesem Zeitfenster konnten alle Interessierten über die eingegebenen Ideen abstimmen. Die Abstimmung war so eingestellt, dass nicht nur für 1 Projekt abgestimmt werden konnte, sondern mindestens mehrere ausgewählt werden mussten. Damit konnte verhindert werden, dass 1 Projekt allein massiv mobilisiert und nur deswegen viel mehr Stimmen hat als andere Projekte. Die Plattform und alle zur Abstimmung stehenden Ideen wurden auch auf Englisch übersetzt.
  • Umsetzungsphase: Total 8 Quartierideen erhielten Budget zugeteilt. Nach Erhalt des Budgets begann die Umsetzung, bei einigen Projekten sofort, bei anderen Ideen etwas langsamer – da praktisch alle ehrenamtlich durchgeführt wurden, ist dies eine den Erwartungen und Ansprüchen völlig gerechte Dynamik.
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Starttag der Ideenphase

Welche Offline-Formate haben wir organisiert?

Nach dem Motto ‘kein Online ohne Offline’ war uns von Anfang an klar, dass einige Formate auch als physische Treffen stattfinden sollen. Die Corona-Lockdowns 2020 haben die Entwicklung dieser Formate entscheidend geprägt, sodass wir – mit rollender Planung – auf folgendes öffentliches Programm gekommen sind:

  • Starttag der Ideenphase: Bewusst auf den International Parking Day gelegt, waren wir auf mehreren umgenutzten Parkplätzen im Quartier präsent. Mit Spiel- und Bastelmaterial sind wir mit Interessierten direkt ins Ausprobieren eingestiegen. Aus einem Konzert am Abend wurde schliesslich ein spontaner Quartiertreff.
  • Thematische Spaziergänge: Zu Fokusthemen wie ‘Grünraum’ oder ‘Treffpunkte’ konnten Teilnehmende etwas über ihr Quartier erfahren und sich gleichzeitig spielerisch zu neuen Ideen inspirieren. Dieses Format stiess auf reges Interesse und hat sehr gut funktioniert.
  • Ideenwagen: Mit einem Veloanhänger-Infostand waren wir 8 mal im Quartier unterwegs, um an verschiedenen Orten mit Menschen über ihre Ideen zu sprechen. Die Idee war, dass sich hier auch Interessierte kennenlernen können. Dieses Format hat weniger gut funktioniert, da kaum Teilnehmende erschienen. Es ist etwas unklar, ob es an der Corona-Situation lag, am falschen Zeitpunkt im Prozess, an einer ungenügenden Kommunikation oder ob es kein Bedürfnis war.
  • Workshops für Jugendliche: In einer Kooperation mit einer lokalen Schule und mit der OJA Wipkingen führten wir Workshops und gezielte Beratungen von und mit Jugendlichen durch. Dies war sehr wertvoll für den Prozess, vor allem weil sich die OJA verantwortlich zeigen konnte, die Umsetzung der Ideen langfristig zu unterstützen.
  • Während der Abstimmungsphase fanden 2 Infoveranstaltungen (Corona-bedingt online) statt, um Auskunft und Support bei offenen Fragen zu geben.
  • Und nach der Abstimmung fand eine Art digitale Preisverleihung statt (leider wieder im Lockdown, das hätten wir sonst viel lieber offline gemacht), bei der sich die Projekte, die Budget erhalten haben, gleich selber vorstellen konnten und die Prozessverantwortlichen eine kleine Rückschau hielten.

Zusätzlich zu diesen offiziellen, im Voraus kommunizierten Programmpunkten fanden auch immer wieder spontane Austausche im Quartier statt. Zum Beispiel auf Wunsch in persönlichen Beratungen oder in einem Netzwerktreffen, bei dem sich die vielen Ideengeber*innen von Grünraum-Ideen kennenlernen und absprechen konnten.

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Abstimmungs-Flyer

Wie haben wir kommuniziert?

Dank einer vielfältigen Kommunikationsstrategie (Flyer, Plakate, Social Media, Medienarbeit, Mund-zu-Mund etc.) haben relativ viele Menschen im Quartier über den ein oder anderen Weg vom Prozess erfahren. So haben wir beispielsweise für die Abstimmung in jeden einzelnen der über 9000 Wipkinger Briefkästen eine Postkarte geworfen.

Dank breiter Vernetzung und Beziehungsarbeit im Quartier vor dem Prozess, die Präsenz im Quartier und das vielfältige Rahmenprogramm kamen wir auch mit vielen Quartierleuten direkt ins Gespräch. Die persönliche Ansprache war v.a. am Anfang wichtig, um erste Interessierte zum Mitmachen zu motivieren.

Durch diese Vernetzung waren zudem zahlreiche Akteur*innen motiviert, unsere Kommunikation weiterzuverbreiten. Diese sogenannten ‘Multiplikator*innen’ unterstützten somit den Kommunikationsprozess weiter. Dasselbe galt für alle, die eine Idee in der Abstimmung hatten und dadurch ein Interesse, über ihre eigenen Kanäle zum Mitmachen zu mobilisieren

(Nebenerkenntnis: Allerdings kann man auch sehr breit und transparent den ganzen Prozess kommunizieren, und es wird trotzdem immer Leute geben, die es zu spät mitbekommen oder etwas nicht verstehen und dann schlechte Kommunikation oder Intransparenz anklagen. Da sollte man sich zwar regelmässig fragen: Was hätten wir NOCH besser machen können? Aber man muss sich auch eine etwas dicke Haut zulegen um sich davon nicht entmutigen zu lassen.)

Einen Einblick in diese Kommunikation gibt es auf den Quartieridee-Kanälen auf Instagram & Facebook oder in den diversen Medienberichten: Die Wipkinger Zeitung hat regelmässig über den Prozess berichtet: vor dem Start, pünktlich zum Start der Ideensammlung sowie nach dem Start, dann nach der Ideensammlung und rechtzeitig zur Abstimmung als auch nach der Abstimmung über die Gewinnerprojekte. Auch der Tagesanzeiger (nur print), die NZZ und Tsüri.ch haben vor dem Start berichtet, der Tagesanzeiger und Tsüri.ch dann nochmals zur Abstimmung.

“Wie gestaltet ihr den Prozess möglichst inklusiv?”

Neben der breiten, diversen Kommunikation (s. Punkt oben) haben wir uns v.a. dafür entschieden, den Einstieg ins Projekt so niederschwellig wie möglich zu gestalten:

  • Formale und technische Niederschwelligkeit in der Ideenphase ist sehr sehr wichtig: Also ein super-simples Formular für die Ideeneingabe, bei der man mit wenigen Worten/Sätzen schon dabei ist (am besten ohne Registrierung, aber soweit gingen wir bei der Quartieridee nicht - mittlerweile ist das möglich!). Je komplexer und aufwändiger die allererste Eingabe von Ideen ist, desto weniger inklusiv ist der Prozess. D.h. desto weniger Menschen nehmen Teil, die es sich nicht bereits gewohnt sind, Konzepte zu entwickeln, Förderanträge zu schreiben und Projekte zu managen.
  • Dazu gehört auch, dass Menschen und Kommunikationsmittel auch Laien zur Teilnahme ermutigen und die Angst nehmen, der eigene Beitrag könnte nicht “gut genug” sein. Unsere Erfahrung hat gezeigt: Menschen, die nicht regelmässig Förderungen beantragen oder mit der Stadtverwaltung zu tun haben, setzen sich selbst sehr hohe Anforderungen, um überhaupt eine Idee einzureichen und meinen, nur perfekte Ideen seien erlaubt. Wenn diese Perfektionshürde überwunden ist (zum Beispiel in einem persönlichen Gespräch), dann freuen sich alle irrsinnig und es sprudelt nur so von Ideen.
  • Aber Achtung: Nach einem niederschwelligen Einstieg muss es dann auch vorwärts gehen, sonst hängen die Leute wieder ab! Nach der Abstimmung war bei manchen die “Energie” raus. Motivation und Bereitschaft zu Ehrenamt sind nicht lang aufrecht zu erhalten, wenn nichts passiert, und sind dadurch nicht langfristig planbar – sie folgen einer ganz anderen zeitlichen Logik als stadtverwaltungsinterne Abläufe. Diesem Umstand muss man in der Zeitplanung Rechnung tragen.

Welche IT-Lösung haben wir verwendet?

Nach einer Recherche verschiedener bestehender Onlineplattformen haben wir uns entschieden, die Open-Source Plattform “Decidim” aus Barcelona zu nutzen, welche bereits international in Anwendung ist (z.B. in Helsinki).

Decidim Q Europa
Decidim-Anwendungen in Europa

Zu dieser Plattform haben wir einen separaten Blogbeitrag und eine handliche Anleitung geschrieben. Überzeugt hat uns vor allem, dass diese Plattform bereits sehr viele Funktionen vereint und dass sie im Copyleft-Gedanken betrieben wird - das heisst, sie ist open source zugänglich und Weiterentwicklungen werden jeweils in die Community zurückgegeben und stehen somit wiederum der Allgemeinheit zur Verfügung.

Zusammen mit Puzzle ITC und der Stadtentwicklung Zürich haben wir die Plattform auf Zürcher Bedürfnisse angepasst. (> siehe github) – finanziert von der Stadt Zürich und E-Government Schweiz.

Wer waren die Ideengebenden, wer hat mitgemacht?

Mitmachen konnten theoretisch alle – auch Menschen unter 18, auch Menschen ohne Schweizer Pass, auch Menschen, die nicht offiziell in Wipkingen wohnen aber sich hier wohl und zugehörig fühlen. Denn wir finden es wichtig, dass neue partizipative Instrumente immer auch versuchen, Bevölkerungsgruppen einzuschlieseen, die von herkömmlichen demokratischen Instrumenten noch ausgeschlossen sind.

Unter den Ideengebenden, mit denen wir direkt zu tun hatten, fanden sich alle Altersgruppen - von Jugendlichen bis Pensionierte - und auch Menschen aus verschiedenen Familiensituationen - mit und ohne Kinder. Für einige im Quartier Zugezogene (mit oder ohne Schweizer Pass) schien der Prozess als idealer Einstieg zu dienen, das Quartier kennenzulernen und sich zu engagieren.

De facto... [hier warten wir noch auf Zahlen aus dem Evaluations-Bericht]

Wie haben wir das finanziert?

Das Quartierbudget von 40’000 CHF wurde je zur Hälfte von der Stadt Zürich und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft getragen. Grafik-, Druck- und Materialkosten wurden von der Stadt Zürich übernommen. Der Aufbau der Decidim-Plattform wurde von der Stadt Zürich und E-Government Schweiz finanziert.

Den Aufwand für die Prozessentwicklung, Durchführung, Kommunikation, Begleitung der Projekte und unseren eigenen Beitrag zur Plattform-Entwicklung haben wir grösstenteils eigeninitiativ geleistet. Dies war uns primär dank einer Förderung durch den Migros Pionierfonds möglich, die wir selbstbestimmt einsetzen durften und die uns ermöglichte, während einer gewissen Zeit sehr frei zu agieren. Ein Fünftel unserer Projektarbeitszeit wurde von der Stadt Zürich entschädigt.

Da die Quartieridee Wipkingen ein Herzensprojekt von uns war und wir es als eigeninitiierten, politischen Selbstversuch verstanden, haben wir keinen Aufwand gescheut. Vom Verfassen des ersten Konzeptpapiers bis und mit dieser nun vorliegenden Dokumentation sind wir (Urban Equipe & Nextzürich) auf etwas über 2000 Stunden gekommen. >> Für eine ganzheitliche Zeitrechnung kämen die Stundenaufwände der Stadtverwaltung, der Stiftung Risiko-Dialog, der Grafiker*innen und Programmierer und die ehrenamtliche Zeit der Teilnehmenden noch hinzu.

Der Stadt Zürich war es wichtig, dass die Quardieridee im Sinne eines Pilotprojekts von externer Stelle evaluiert wird, um aufgrund der Erkenntnisse darüber zu diskutieren und zu entscheiden, wie es mit dieser Art von Prozessen weitergehen soll. Diese Evaluation wurde von der Stiftung Risiko-Dialog durchgeführt und von der Stadt Zürich finanziert.

Wozu hat das Pilotprojekt weiter inspiriert?

Das Pilotprojekt «Quartieridee Wipkingen» hat seither diverse Folgeprojekte inspiriert.

So hat es die Stadt Zürich gewagt, 2021/22 einen sehr ähnlichen Prozess durchzuführen, nämlich die«Stadtidee». Mit dem Unterschied, dass diesmal stadtweit Ideen eingegeben und umgesetzt werden konnten, dass das zu verteilende Budget rund 13x höher war, nämlich 540'000 Franken, und dass nicht mehr zivilgesellschaftliche Organisationen wie wir sondern die Stadt selbst die Trägerin war. Umgekehrt waren wir diesmal unterstützend dabei. Aber auch mit dem Unterschied, dass die Ideeneingabe etwas hochschwelliger war als bei der Quartieridee und die Kommunikation über den Prozess und das Rahmenprogramm weniger intensiv – mit der Idee, möglichst viel Geld an die Projekte zu verteilen anstatt in den Prozess zu investieren.

Ob es weitere partizipative Budgets in der Stadt Zürich geben wird, ist noch ungewiss. Sowohl der Quartieridee-Prozess als auch der Stadtidee-Prozess wurden durch die Stiftung Risiko-Dialog beobachtet und evaluiert. Aufgrund der entsprechenden Berichte und der Erfahrungswerte der Projektleitenden wird nun stadtintern diskutiert, wie es weitergehen soll.

Dank dem Pilotprojekt konnte die Stadt ausserdem Erfahrungen sammeln mit der Open Source Plattform Decidim. Decidim ist mittlerweile für die städtische Plattform mitwirken.stadt-zuerich.ch im Einsatz, wo diverse Partizipationsprozesse parallel laufen, und für die städtische Quartierplattform meinquartier.zuerich. Decidim ist übrigens auch in Luzern, Lausanne und im Kanton Genf im Einsatz, und bald auch schon in kleineren und mittleren Gemeinden. Wer mehr über Decidim erfahren möchte, kann das hier.

Decidim Schweiz
Decidim-Anwendungen in der Schweiz

Schliesslich haben wir, motiviert durch das Pilotprojekt «Quartieridee», auch gemeinsam mit unseren Projektpartner*innen der Stadt und Puzzle ITC im Sommer 2020 den Verein «Forum E-Partizipation Schweiz» (kurz: FOEPS > siehe www.foeps.ch) gegründet, welcher sich einerseits für die Schweizweite Koordination der Decidim-Anwendungen zuständig fühlt, und sich andererseits mit Fragen rund um E-Partizipation beschäftigt und diese in einen öffentlichen Diskurs einbringen möchte.

Aber Halt!

Die Quartieridee Wipkingen war ein eigeninitiiertes Projekt - ein Versuch, durchs direkte Ausprobieren eine Diskussion anzustossen zur Frage: Wie können mehr Menschen in ihrem Quartier direkt mitentscheiden und mitgestalten?

Wir haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wir pachten dieses Thema nicht - wir sind erst ganz am Anfang. Und es gibt noch ganz viele offenen Fragen. Zum Beispiel: Wen haben wir ‘erreicht’ und wen ausgeschlossen? Ist es nicht schade, ehrenamtliche Projekte in eine Wettbewerbslogik zu drücken? Wie können wir das partizipative Budget skalieren ohne die Qualität der lokalen Beziehungsarbeit und Projekt-Unterstützung zu verlieren? Wie soll es überhaupt mit dem partizipativen Budget weitergehen in der Schweiz bzw. braucht es das überhaupt?....

Wir glauben daran, Sachen auszuprobieren, daraus zu lernen, es beim nächsten Mal anders zu machen, wieder daraus zu lernen, … Darum möchten wir auch offen über unsere Fehler und Zweifel sprechen:

Darum nochmals unser Hinweis: Für unsere Reflexion zum Prozess, gemachte Fehler und offenen Fragen lest diesen Bericht.

Wie gesagt haben wir noch nicht auf alles eine Antwort – umso mehr freuen wir uns auf einen Austausch dazu. Kommt einfach auf uns zu oder schickt eine Mail.

MERCI <3

Merci an Nextzürich für die Idee und Vorarbeit und dem Quartierverein Wipkingen, der uns zum Pilotprojekt ermutigt hat.

Merci der Stadt Zürich für die Begleitung und Unterstützung und insbesondere unseren Projektpartner*innen beim Smart City Team der Stadtentwicklung Zürich für die gute Zusammenarbeit – allen voran Maximilian Stern.

Merci an Kabeljau für die Grafik, Puzzle ITC für die IT und der Stiftung Risiko-Dialog für die Evaluation im Prozess.

Merci an die internationale Decidim Community für den Aufbau der Open Source Plattform.

Merci für die finanzielle Unterstützung an die Stadt Zürich, an E-Government Schweiz, an die Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft sowie via Urban Equipe auch an den Migros-Pionierfonds.

Und merci an alle Quartierakteur*innen in Wipkingen, die das Projekt unterstützt haben, und insbesondere allen Quartiermenschen und -gruppen, die Ideen eingegeben, weiterentwickelt oder sogar umgesetzt haben. Um euch und eure Ideen ging es in allererster Linie in diesem Projekt und es hat viel Spass gemacht mit euch!