Equipment

Partizipationsprozess ‘Kaffeerösterei’

  • Praxisbeispiel | Umsetzung
erstellt: 20.01.21 / aktualisiert: 25.10.21

Das ist die originale ‘Nextzürich-Methode’ für eine partizipative Zukunftsvision der Stadt. Damit lässt sich der Dialog zwischen Stadtverwaltung, Planung und Bevölkerung stärken. Die Kaffeerösterei eignet sich für stadtweite, offene, komplexe Fragestellungen.

Auf einen Blick

Was: Partizipativer Prozess für die Zukunft von Zürich
Wer:
Verein Nextzürich
Wann:
Ab 2015
Wo:
ganze Stadt Zürich, online und offline

Kaffeerösterei | CC BY 4.0 Nextzürich

Kaffeerösterei | CC BY 4.0 Nextzürich

Ausgangslage

Der Verein Nextzürich wollte 2013, inspiriert von Nexthamburg, Partizipation auch in Zürich ausprobieren. Es standen (und stehen) schliesslich einige wichtige Themen an: So wird sich diese Stadt laut Prognosen stark verdichten, das Mobilitätsverhalten verändert sich, der Klimawandel klopft hartnäckig an die Tore, der öffentliche Raum verändert seine Bedeutung, und, und, und…

Inmitten dieser Veränderungen gilt es, die Bevölkerung aktiver und frühzeitiger als bisher in die Entwicklung ihrer Lebenswelt einzubeziehen. Dafür müssen neue Instrumente und Methoden gefunden werden.

Der Verein Nextzürich gründete sich mit der Absicht, in diese Richtung neue Wege zu gehen. Bewusst starteten die Vereinsmitglieder mit einer sehr offenen Frage, die sie in einem mehrstufigen Prozess schärften und in konkrete Umsetzungen entwickelten. Aus der allgemeinen Ideenfindung 2013-2014 schälte sich schliesslich der Themenschwerpunkt 'Velocity' heraus.

Ziel

  • Eine offene Fragestellung partizipativ bearbeiten.
  • Möglichst viele Ideen sammeln.
  • Vage Ideen so weiterentwickeln, dass am Schluss umsetzbare Konzepte herauskommen.

Prozessidee

Die “Kaffeerösterei” ist ein mehrstufiges partizipatives Prozess-Modell, mit dem eine sehr offene Frage möglichst konstruktiv und zielführend entwickelt wird. Eine solche offene Frage ist etwa: “Wie könnte sich Stadt XY in Zukunft entwickeln?” Der Fokus der Methode liegt darin, von vagen Ideen hin zu umsetzbaren Konzepten zu gelangen (und nicht bei ‘Paletten-Partizipation’ stehen zu bleiben, in der Leute auf DIY-Möbeln sitzen und Prosecco trinken - wobei das natürlich auch einmal vorkommen darf :D).

>> Hier beschreiben wir die Leitidee des Prozesses. Für die konkrete Umsetzung zum Thema Velowege: Salon-Loop Velocity. Für detailliertere Einblicke in die Online-Ideenkarte lest hier weiter. Tipps und Tricks der dazugehörigen Offline-Formate findet ihr in der Anleitung zum Salon-Loop.

Besonderheiten dieses Prozesses

Dieser partizipative Prozess wurde dazu entwickelt, dass Teilhabe, Mitwirkung, Kollaboration in der Stadtentwicklung weniger frustrierend verläuft. Dafür hat er ein paar grundlegende Besonderheiten:

  • Online und offline: Eine digitale Plattform ist zentral für eine niederschwellige Kommunikation zwischen Stadtbewohner*innen. Jedoch ist sie auch kein Selbstzweck, sondern wird in ein Offline-Programm eingebunden.
  • Projektunabhängig: Dieser Prozess wurde entwickelt für eine stadtweite Partizipation, die nicht auf ein bestimmtes Projekt bezogen ist.
  • Mehrstufiger Dialog: Im Prozess wird mehrfach zwischen der breiten Öffentlichkeit und Expert*innen-Gruppen hin und her gewechselt, sodass die Lösungsvorschläge im Ping-Pong zwischen Locals und Planer*innen entstehen.
  • Moderation plus: Der Verein Nextzürich leitet und organisiert den Prozess, versteht seine Aufgabe jedoch nicht nur in der Moderation. Der Verein hat eigenes Fachwissen, das er in Form von Inputs immer wieder in den Prozess gibt, ohne ihn zu stark zu steuern.
  • Übersetzungsarbeit: Da sich der Verein Nextzürich sowohl in der Welt der Planer*innen als auch im Engagement mit der breiten Bevölkerung auskennt, vermittelt er zwischen diesen beiden Sphären. Mit den Stadtbewohner*innen werden die Bedürfnisse hinter den Ideen geschärft und die komplexen Sachverhalte der Planung werden möglichst verständlich aufbereitet, dass die Bevölkerung eine Chance bekommt, real mitzureden.

    Diese Methode ist nichts für Anfänger*innen - zumindest ist anzuraten, dass eine gute Portion Fachwissen und kommunikative Skills im Team vorhanden sind. Aber nicht verzagen, unbedingt ausprobieren und lernen!

Vorgehen

Markus Nollert und Erich Schwarz, Mitgründer und Mitglied der ersten Stunde von Nextzürich, haben uns über die Nextzürich-Methode berichtet. Wie sieht dieser Prozess nun genau aus?

  1. Frage stellen: “Als Verein Nextzürich interessierte uns am Anfang ganz allgemein: Wie soll sich diese Stadt weiterentwickeln? Die offene Frage haben also wir vorgegeben. Natürlich kann die Anfangsfrage auch von jemand Anderem kommen, etwas weniger offen sein oder auch bereits partizipativ bestimmt werden.”
  2. Ideen sammeln: “Mit dieser offenen Frage traten wir an die Öffentlichkeit mit unserer Online-Ideenkarte. Wir fragten am Anfang bewusst nicht nach Problemen, sondern nach Ideen. Wir glauben, dass es so konstruktiver wird. Wir wissen aber auch, dass das erst ganz der Anfang ist und Ideen, wie rohe Kaffeebohnen, noch weiter veredelt werden müssen, damit sie geniessbar werden. Darum geht es in den nächsten Schritten.”
  3. Bedürfnisse hinter den Ideen verstehen: “Die vielen eingereichten Ideen haben wir im Verein zunächst kategorisiert. Bei einigen Ideen wussten wir als Planer*innen, dass sie auch Veränderungen nach sich ziehen, welche die Ideen-Geber*innen gar nicht möchten. Statt also die Idee 1:1 zu übernehmen bzw. zu verwerfen, fragten wir dort genauer nach. Aus welchen Bedürfnissen heraus wurde diese Idee geäussert? Und lässt sich ev. eine alternative Lösung für diese Bedürfnisse finden? Diese Bedürfnisse haben wir wiederum mit der Bevölkerung diskutiert und dadurch ihre Ideen geschärft.”

    >> Beispiel:
    “Eine oft erwähnte Idee war eine auto-freie Langstrasse in Zürich. Dies klingt erst einmal verlockend, doch als Planer*innen wissen wir, dass eine verkehrsberuhigte Langstrasse zum Beispiel die Immobilienpreise noch mehr in die Höhe treiben würde und die Strasse weiter von ihrem Charakter verliert. Darum haben wir genauer nachgefragt, warum es der Idee wirklich geht. Dabei hat sich herausgestellt: Es geht eigentlich darum, mit dem Velo in beide Richtungen fahren zu können. Dafür lassen sich aber noch andere Lösungsansätze finden als eine autofreie Langstrasse…”
  4. Themen identifizieren: “Die partizipativ eruierten Bedürfnisse und Ideen vergleichen wir nun mit aktuellen Konzepten, Strategien, Vorhaben der Stadt selbst. So finden wir heraus, was gerade geplant ist und wie die Wünsche der Bevölkerung hineinpassen. Da, wo zu wenig oder unseres Erachtens das Falsche getan wird, setzen wir weiter an. Unsere Überlegungen diskutieren wir in einem ersten Workshop mit der breiten Öffentlichkeit. Vielleicht fehlt etwas, oder wir haben etwas falsch verstanden?”
  5. Konkrete Aufgaben formulieren: “Sobald die Bedürfnisse und Themen etwas eingegrenzt sind, ging es uns darum, diese mit konkreten Situationen zu verbinden. Im Verein eruierten wir Brennpunkte in der Stadt, die wir angehen möchten. Wir achteten darauf, dass die ausgewählten Aufgaben möglichst exemplarisch sind für weitere Brennpunkte in der Stadt.”
  6. Lösungen entwerfen: “In einem zweiten Workshop, diesmal mit Fachexpert*innen, entwickelten wir Antworten auf die konkreten Aufgaben. Uns war wichtig, für jede Aufgabe möglichst viele verschiedene Lösungen zu erhalten. Das fördert den kreativen Blick und bringt die Diskussion weiter!”
  7. Lösungen aufbereiten: “Aus diesen Vorschlägen machten wir im Verein Dokumente, die auch Leute verstehen, die nicht am Workshop dabei waren (zusammenfassen, ausformulieren, visualisieren, …). Diese Lösungsansätze stellen wir der Öffentlichkeit wieder online zur Diskussion, Bewertung, Ergänzung etc.”
  8. Konzepte adressieren: “Mit diesen konkreten Konzepten gingen wir zu Entscheidungsträger*innen der Stadt und suchten den Dialog über mögliche weitere Schritte.”

    >>Nachzulesen auch bei Nextzürich

warum 'Kafferösterei'?

Die Vereinsmitglieder haben im Verlauf des Projekts gemerkt, dass die Metapher der Kaffeerösterei hilft - sowohl um untereinander die Methode besser zu verstehen als auch um sie Unbeteiligten besser erklären zu können.

Die Analogie ist eingängig: Mit Kaffeebohnen auf dem Feld kann man nicht viel anfangen. Die Ideen aus der Bevölkerung müssen wie Kaffeebohnen zuerst gesammelt, sortiert, geschält, geröstet, gemahlen, gemischt und zubereitet werden, bis daraus beliebter Kaffee wird.

Kaffeerösterei | CC BY 4.0 Nextzürich1/2

Supertipp

Es kann gut sein, dass ihr auch einmal eine eigene Methode, ein Produkt, eine Idee entwickelt. Fragt euch dabei am besten immer wieder einmal, wie ihr diese einem Laienpublikum in wenigen Sätzen erklären könnt (nicht mehr als 1 min)!

Das ist eine gute Übung, um die Kernpunkte eures Projektes herauszufinden. Wer weiss, vielleicht findet ihr auch eine Metapher, ein Bild, eine Figur, eine gute Geschichte dazu?

Lesetipp

Der Verein Nexthamburg hat seine Vision eines Partizipationsprozesses übrigens ebenfalls verschriftlicht, nachzulesen hier.

Equipment nutzen

Unser Equipment will von euch kopiert, geteilt und je nach individuellen Bedürfnissen weiterentwickelt werden. Wir erwarten dabei bloss, dass ihr jeweils auf uns und allfällige Kompliz*innen verweist:

Lizenz: CC BY 4.0 | Urban Equipe & Nextzürich

Zitiervorschlag:
„Dieses Equipment ist unter CC BY 4.0 lizenziert. Es stammt von der Urban Equipe und Nextzürich. Der Originaltext bzw. die Originalversion befindet sich hier [Link einfügen].”

>> Wir haben diese Umsetzung lediglich beobachtet und im Gespräch mit unseren Komplizinnen Nextzürich als inspirierendes Beispiel dokumentiert, jedoch nicht in der Entwicklung mitgewirkt. Für weiterführende Informationen empfehlen wir euch direkten Kontakt mit den Entwickler*innen des Formates aufzunehmen.

feedback, kritik, ideen & wünsche

Wir lernen laufend und im Laufen! Lauft mit uns und teilt eure Erfahrungen, Ideen und Eindrücke mit uns!

Habt ihr Anmerkungen, Kritik oder Ergänzungen zu diesem spezifischen Equipment? Unser Equipment steckt noch in den Kinderschuhen und entwickelt sich nun stetig weiter. Wir freuen uns daher enorm zu hören, wie es bei euch ankommt, ob es verstanden und genutzt wird. Oder eben nicht.

Oder habt ihr Ideen für weitere Gelegenheiten oder Equipments, die wir vielleicht sogar zusammen mit euch erarbeiten können? Kennt ihr Projekte, die ihr gerne hier aufgearbeitet und dokumentiert sehen würdet?

Wir freuen uns via equipment@urban-equipe.ch davon zu erfahren.